Berlin – Hamburg 2020

Von Hamburg nach Berlin bin ich inzwischen dreimal gefahren. Das erste Mal 2012, mit Gepäck und zwei Übernachtungen. Damals habe ich mich aber noch nicht wirklich als Radfahrer gesehen: bei den Stops in Danneberg und Havelberg war ich abends jeweils noch eine Runde joggen. Der Sport darf auf Reisen ja nicht zu kurz kommen. 2014 durfte ich das Sommerhalbjahr über in Berlin arbeiten und habe im Vorwege eins meiner Räder auf eigener Achse dorthin gebracht. Diesmal auf dem Crosser, vom Gefühl schon eher Radfahrer als Läufer. Wenn ich so drüber nachdenke, wurde die Metamorphose zum Rennradfahrer in Berlin erst so richtig abgeschlossen. Die zweite Tour also in ohne Übernachtung, mit leichtem Gepäck und bei Rückenwind auch schon im 30er-Schnitt. WIMRE. Das dritte Mal war dann im selben Jahr im Rahmen der Veranstaltung Hamburg-Berlin. Im Team. Spätestens dieser Ritt hatte mit der gemütlichen Radwanderung aus 2012 so gar nichts mehr zu tun. Zum Beispiel hatte ich einen Platten. Und G. schnappte sich wortlos mein Rad und wechselt den Schlauch gleich mal selbst, weil es ihm zu lange dauert, wenn ich mich damit abmühe. So schnell war das. Unter acht Stunden? Ich hab’s vergessen. Wahnsinnige Geschwindigkeit.

Kurz danach hat es in meinem Leben einige Umwälzungen gegeben. Positiver Art, durchweg … aber durch neue, private Termine im Oktober war und ist es mir absehbar nicht mehr möglich, an besagter Veranstaltung teilzunehmen. Die Strecke wieder einmal zu fahren hatte ich aber die ganze Zeit auf dem Zettel. Die Gelegenheit ergab sich spontan, nachdem A. einige Zeit in Berlin verbracht hatte. So sehr er die Zeit auch genoss, fehlte ihm am Ende doch das Radfahren. Daher entschlossen wir uns, ihn damit zu überraschen, unsere Räder beim Abholen mitzubringen und eine kleine Wiedereinstiegsrunde im Havelland mit ihm zu drehen. Das bedeutete aber auch, dass das Auto auf dem Rückweg schon sehr voll wäre…

…und so begab es sich, dass K. sich gegenüber meinem Vorschlag, mein Rad erstmal in Berlin zu lassen, um es dann zeitnah später und auf eigener Achse abzuholen, erfreulich aufgeschlossen zeigte.

Langer Prolog. Komplexe Logistik. Tl;dr: drei Tage nach dem Abholwochenende sitze ich mit leichtem Gepäck im Flixbus, mein Rad steht bei S. im Keller. Abends gibt es Pizza und Kindl und am nächste Morgen freue ich mich über das Ausbleiben des versprochenen Regens:

Um 08:22 starte ich und bin damit so leidlich im Zeitplan. Das ist aber auch erfreulich egal. Ich bin ohne jegliche Zeitvorgaben unterwegs. Bei Westwind ist das auch ziemlich schlau, finde ich. Entsprechend lasse ich mir im Display meines Tachos neben dem Track auch keine Geschwindigkeit anzeigen, sondern die Wattzahl die ich gerade trete. Ja, ich hab gelernt, man sagt „die Watt“. Das finde ich immer noch nicht schön, aber ich gewöhne mich gerade daran. Also, die Anzeige der aktuellen Watt (!) im Display finde ich grundsätzlich immer noch ziemlich schlau. Am Beispiel dieser Fahrt aber leider nur grundsätzlich. Als zweiten Wert hab ich die Durchschnittswatt im Display und das finde ich nicht ganz so pfiffig. Im Nachhinein.

Egal, der Text gerät mir gerade ein bißchen sehr technisch. Am Anfang habe nämlich durchaus noch ein Auge für das Drumrum. Ich mag Brandenburg, so als Gegend zum drinrumfahren, und ich glaube das unterscheidet mich von vielen Brandenburgern und den meisten Berlinern.

Jetzt, so kurz nach dem Losfahren, nehme mir sogar noch die Zeit für das ein oder andere Foto. Hab ich nicht neulich irgendwo in den sozialen Medien gelesen, dass jemand Sonnenblumenfelder gesucht hat? Ich hab eins gefunden, ohne zu suchen.

Beim Supermarkt in Rhinow (de Janeiro) stoppe ich eher aus nostalgischen Gründen. 2014, Hamburg-Berlin: „Druckbetankung“, Kurzstop zum Bunkern. Trotzdem: Gelegenheiten, die Flaschen zu füllen lässt man in Brandenburg besser nicht aus. Es sollte sich bewahrheiten: ich nehme mir vor, nach 150km die erste „richtige“ Pause zu machen; aus bekannten Gründen bunkere ich aber in Wittenberge noch einmal. Kurze Zeit später verbietet mir meine Pedanterie, bei Km 148,7 in einer Schutzhütte direkt an der Elbe Pause zu machen. Danach bin ich erstmal so tief im Nirgendwo, dass sich geschlagene 20 Kilometer lang keine Sitzgelegenheit an der Strecke ergibt. Keine Schutzhütte, keine Bank, kein Nix. Ich glaube, hier frage ich mich zum ersten Mal, warum genau ich eigentlich diese Strecke unbedingt noch einmal fahren wollte. Am Ende mache ich meine Pause dann also geschlagene 20 Kilometer später als geplant. Ich versuche, einen Riegel zu essen und merke bereits, wie schwer mir das fällt. So richtig mag mein Magen nichts aufnehmen. Meine Zielwatt habe ich anscheinend doch etwas hoch angesetzt, und abgesehen davon, dass ich nicht richtig essen kann, beginne ich mich allmählich zu quälen. 120km vor dem Ziel. Prost Mahlzeit.

Hitzacker. Ich stoppe an einer Tanke und kaufe mir Eis und Cola. Der Track endet jetzt in weniger als 100km. Hundert gehen ja immer, und meinen „Followern“ schreibe ich dementsprechend im „offiziellen“ Chat, dass ich gleich da bin. K. gegenüber bin ich ehrlicher. Es gibt hier eine Bank, die zu meinem Eintreffen allerdings noch besetzt ist; die ersten Minuten dieser am Ende doch langen Pause verbringe ich auf dem Boden sitzend.

Als die Bank frei wird, spiele ich einige Ausstiegsszenarien durch. Leider – oder rückblickend zum Glück – hätte ich geschlagene zwei Stunden auf den nächsten „Erixx“ warten müssen. Zudem war die Umsteigezeit in Lüneburg etwas knapp bemessen. Am späten Abend in Lüneburg zu stranden hätte mir ja auch nicht wirklich weiter geholfen. So entscheide ich mich, ehrlich gesagt schweren Herzens und ein bißchen wiederwillig, meine Fahrt fortzusetzen. Dass ich *so* nah am Ausstieg war teile ich K. allerdings nicht mit. Stattdessen geht unser Dialog etwa so: „Junior will morgen ’ne Permanente mit Dir fahren, was sagst?“ – und ich so: „klar, gut ausschlafen, dann passt das schon“.

:rolleyes:

Jetzt geht es durch’s Wendland. Ganz schön, aber jetzt auch erstmal ganz schön steil. Bis 13%? Ich habe es vergessen. Dunkel erinnere ich, dieses Gehügel schon nach meiner ersten Tour notiert zu haben. Meine Zielwatt stellen sich jetzt endgültig als illusorisch raus, und ich hasse meine Selbstüberschätzung. Apropos – habe ich A. gerade eine Permanente für morgen versprochen? Aber: schön. Es ist schön hier. Das nehme ich jetzt wieder wahr und hoffe hier und da, ich wäre etwas frischer und könnte den Ritt mehr genießen.

30 Kilometer später, ein Bleckede, muss ich noch einmal Pause machen. Ich denke an die Salzkruste auf meiner Hose, und an Emma Pooley, die in kürzlich aus ähnlichen Gründen einen McD-Besuch auf Instagram dokumentiert hat: mein Körper braucht Salz. Statt McDonalds wird es der örtliche Döner. Eine Pommes bitte, ordentlich Salz. Wie, ohne Salz? Nein, bitte reichlich. Alkoholfreies Bier gibt es auch, und ich glaube, ich gebe meinem Körper genau das, was er braucht. Mir geht es besser. Ja, ich bin ein bißchen neidisch auf die Menschen, die auf der gegenüberliegenden Seite ihr Auto direkt vor dem Griechen parken. Und die mit dem Bier vom Faß vor sich auf dem Tisch. Andererseits – was sollte ich auch mit einem Grillteller, wenn ich nicht einmal meine Pommes schaffe?

Ich sitze lange dort. Amüsiere mich zusammen mit der Dorfjungend über den Hippie mit seinem Wohnmobil, auf dem Worte wie „Namaste“ und „Peace“ stehen, der im Vorbeifahren Leute bepöbelt. Ja, die Szenerie hätte ich noch etwas genießen können, aber irgendwann zieht es mich dann doch weiter. Tatsächlich. 🙂 Ich schaue nicht mal mehr nach Zügen, das einzige Eingeständnis an den inneren Schweinehund: sollte ich zufällig auf weniger als 20km an Lüneburg herankommen, denke ich möglicherweise über einen Metronom nach. Vielleicht.

Abendbrot in Bleckede

In der Folgezeit stellt sich glücklicherweise heraus, dass ich mit meiner Einschätzung, was mein Körper braucht, nicht gänzlich daneben lag. Endlich ist sie da, die zweite Luft. Eine eventuelle Pause stelle ich meinem ISH in Geesthacht in Aussicht. Frühestens. Von einem Ding namens „Metronom“ oder einem Ort namens „Lüneburg“ ist in unseren Zwiegesprächen nicht mehr dir Rede.

Straßensperrung? Nee, erstmal gucken. Mit dem Rad geht es ja meist. Es rumpelt schon böse, weil die Schwarzdecke abgetragen ist. Pavé für Arme. Dann kommt ein Zelt, darin: eine Brücke. Naja, einen einzelnen Radfahrer wird sie schon tragen. Auf der anderen Seite nähert sich dem Zelt ein E-bikendes Pärchen vorsichtig von der anderen Seite. Die Frau schlägt die Plane zurück, als ich gerade davor stehe. „Mahlzeit!“ Als ich mich von der Baustelle entferne, kommt mir ein Rennradfahrer entgegen. „Geht! Du musst durchs Zelt durch!“ rufe ich ihm zu und bin mir nicht sicher, ob er mich versteht.

Hohnstorf. Tanke. Ich hab keine Lust zu halten. Die Vernunft sagt aber, ich sollte bunkern. Es gibt sogar blaues Gatorade! 🙂 Die Flaschen werden gefüllt, ein halber Liter Cola wandert als eiserne Reserve in den Rucksack (sic). Cola mag ich aber schon lange nicht mehr sehen und diese Flasche sollte dann am Ende – Spoileralarm – auch als „Hasencola“ an Keule vererbt werden. Wenn Papa alleine verreist, sollte er auch was mitbringen.

Dann: Krümmel auf der anderen Elbseite. Avendorf: ich erreiche den Landkreis Harburg. Und freue mich über Gebühr, wieder in WL-Land zu sein. Natürlich dämpfen später einige Autofahrer mit diesem Kennzeichen meine Freude: so hat halt jeder seine Spezis.

Geesthacht. Den Schlenker über die Elbe spare ich mir. Da drüben, in Altengamme, endet der Track. Ich beende ihn, und bleibe auf meiner Elbseite. Dann kommt das Ortsschild später, aber ich bin eher zuhause. Alles in allem ein guter Kompromiss. Von einer weiteren Pause ist indes keine Rede mehr. Ich will nur noch Hause, und der ISH hat kein Mitspracherecht. Manchmal, damals, vor dem Home Office und allem, was dieses Jahr so anders gemacht hat, hab ich ab und zu auf dem Heimweg den Schlenker über Geesthacht gemacht. Entsprechend teile ich mir die Reststrecke ein: ab Hoopte ist es nur noch eine einfache Arbeitswegdistanz bis nach Hause. Gut, danach zieht es sich noch etwas. Auch mit weniger als 280 Kilometern in den Beinen. Aber was soll’s.

Das Ortsschild muss ich dann natürlich auch fotografieren. Das gestaltet sich etwas schwierig, weil ich am Fahrbahnrand stehen muss und es an der Stelle keinen Bürgersteig gibt. Die junge Frau, die neben mir steht und telefoniert, merkt dann auch irgendwann, dass es günstigere Stellen dafür gibt.

Tja – und dann fahr ich halt nach Hause. K. hat meine Ankunftszeit mit „ca. 22 Uhr“ viel besser geschätzt als ich. Den Pizzaboten lasse ich zwar noch mal kommen, aber esse kaum was von dem, was er mitbringt. Später schlafe ich erstaunlicherweise ganz gut und auch die Permanente bring ich mit einigermaßen Anstand über die Bühne. Zum Glück ist der Junge erst 11.

Danke für’s Lesen. Fahren und berichten hat mir richtig Spaß gemacht – ersteres ehrlich gesagt teilweise (!) erst im Nachhinein: aber es bleibt die Erkenntnis, dass ich die langen Kanten noch kann, es aber vermutlich mehr Spaß machen würde, täte ich es öfter. In dem Sinne: ich muss aufhören, weniger zu fahren.

Das Lied vom Scheitern

Vor ziemlich genau einem Jahr notierte ich, ich sei noch nie so froh gewesen, in Verden zu sein. Dass ich das an diesem zweiten Weihnachtstag noch einmal toppen würde, war so erstmal nicht abzusehen.

Dann aber ergab es sich, dass die diesjährige Festive insgesamt unter keinem besonders guten Stern stand; Gerrit laboriert weiter mit seinen Unterarmen, und Frank sagt wegen eines sich kurzfristig zugezogenen Knochenbruchs gleich mal ganz ab. Also statt eines Punkt-zu-Punkt-Abenteuers (grobe Richtung Ulan Bator) wieder auf die „große Hausrunde“ des letzten Jahres.

Der Tag X – tatsächlich war ich im Vorfeld ungewöhnlich nervös, so dass diese Bezeichnung schon gerechtfertigt ist – beginnt denn etwas früher, als es eigentlich wünschenswert wäre. Das Kind weihnachtscrosst im Appelbütteler Forst und natürlich begleiten wir es in den Wald, um es unseren tenniselterlichen Pflichten entsprechend anzuschreien. Anschließend beim Griechen schlage ich mir noch einmal den Bauch voll – wie sich herausstellen sollte, nicht meine beste Idee – und mit einer weiteren halben Stunde Verspätung treffe ich Gerrit um 18:00 traditionell an der Kirche.

Dann ist es erstmal fast genau wie letztes Jahr. Bis wir irgendwann „falsch“ abbiegen, kann man sich noch eine ganze Weile vormachen, auf einer harmlosen Heidschnuckenrunde unterwegs zu sein. Dass ich etwas stärker schwitze als mir eigentlich lieb ist, liegt nicht nur an dem „ruhigen“ Tempo – auf dem Rückweg vom Griechen hatte es geregnet, und wegen der spontan umgeplanten Klamottentaktik schmore ich in meiner Regenjacke im eigenen Saft.

Frühzeitig entscheide ich mich, mich bei passender Gelegenheit umzuziehen. Noch gehe ich davon aus, dass dies in Unterlürss der Fall sein wird, also etwa bei Kilometer 100. Wie letztes Jahr. Ich plane auch, dort meine Flaschen aufzufüllen. Wie letztes Jahr. Weil ich soviel schwitze, trinke ich auch viel, und bis Unterlürss habe ich anderthalb Trinkflaschen weg. Je ländlicher die Gegend wird, umso bewusster wird mir dann aber der Umstand, dass wir ja zwei Stunden später los sind als letztes Jahr – und frühzeitig beginne ich mich zu fragen, ob die Tanke wohl bei unserer ETA von etwa 22 Uhr noch offen haben wird. Und wenn ja – warum? Also: für wen, außer uns?

Lange Rede: natürlich war sie zu. Auch die Dönerbude wurde schon geputzt. Dennoch zwinge ich Gerrit zu einem kurzen Halt. Wenigstens die Mütze wechseln. Meine ist nass und die Verdunstungskälte an den Schläfen macht mir Kopfschmerzen.

Hier keine Pause machen zu können, drückt gewaltig auf die Moral. Es stimmt aber, es hilft ja nix: zum draußen Pause machen ist es zu kalt. Es gibt keine Option als weiter treten. Bergen wird der nächste Meilenstein. „Vielleicht hat da ja was auf“ sagt Gerrit. Natürlich weiß ich es besser. Ich erinnere gut, dass mir die 120 Kilometer von Unterlürss bis Verden letztes Jahr schon ein bißchen zu weit waren, und dass ich seinerzeit auch mit diesem Stop nach Optionen für weitere Pausen Ausschau gehalten habe. Vielleicht setze ich doch ein wenig Hoffnung auf Bergen, um den inneren Schweinehund auszutricksen, ich weiß es nicht. Natürlich hat dort alles zu, aber Verden ist etwas näher.

Tja, und mein Magen. Er macht mehr als deutlich, dass er den Grillteller gerne wieder loswerden würde. Irgendwann ist es so schlimm, dass ich um einen kurzen Stop bitten muss, um ihm diese Möglichkeit zu bieten – aber so wichtig ist es ihm dann doch wieder nicht. Stattdessen gibt mir Gerrit ein Renny aus, und danach ist es dann etwas besser.

Ich sag es noch nicht, aber zu diesem Zeitpunkt scheint mir am wahrscheinlichsten, dass dieses Abenteuer in Bremen endet. Ich beschliesse, Gerrit in Verden bei Macces in meine Pläne einzuweihen. Ein bisschen Hoffnung auf die zweite Luft habe ich schon noch, vor allem aber möchte ich Gerrit nicht demoralisieren. Das Horrorszenario zu diesem Zeitpunkt wäre ein geschlossener Mac Donalds in Verden. Nicht auszumalen, was dann passiert wäre. Die Freude, in Verden zu sein, ist also schon um einiges größer als im letzten Jahr – geht aber noch mit dem Bangen einher, ob wir tatsächlich im warmen würden sitzen können.


Wir konnten. Nach 220 Kilometern und gut acht Stunden auf dem Rad machen wir – mit ich glaube, einer guten halben Stunde – sogar relativ ausgiebig Pause. Mein Magen will noch nicht, aber ich weiss, dass ich wohl besser etwas esse. Lange weiss ich nicht so recht, was – und am Ende war der Muffin wohl eine ganz gute Wahl. Außerdem nutze ich den Stop, mich endlich umzuziehen. Das Baselayer ist zum Glück nur mehr leicht feucht: ich habe versehentlich eins von Arthies Unterhemden als Ersatz eingepackt. Und in XS passe ich zurzeit einfach nicht rein.

Gerrit kämpft offenbar seinen eigenen Kampf und nimmt das erste Mal das Z-Wort in den Mund. Ich kann ihn aber davon überzeugen, dass es keinen Sinn macht, vor Bremen auszusteigen. Und als wir wieder aufs Rad steigen, ist die Stimmung spürbar gestiegen. Ungefähr in Bremen fällt mir dann auch auf, dass mein Magen endlich seinen Kampf gegen die Grillplatte gewonnen hat. Es ist sogar wieder etwas Platz.

Bremen lassen wir dann auch links liegen. Der Ausstieg ist für uns beide anscheinend zu diesem Zeitpunkt keine Option. Aber es ist weit nach Bremerhaven; weitere 120 Kilometer. Im Kopf versuche ich mir schon die restliche Strecke bis zu Hause in appetitliche Happen aufzuteilen. Ich fantasiere davon, von einer weiteren Pause erfrischt relativ locker bis Cuxhaven zu kommen, um dann auf der Strecke zwischen Cuxhaven und zu Hause auf mindestens einer weiteren Pause zu bestehen.

Es dämmert, wir nähern uns endlich Bremerhaven … und Gerrit fragt, ob es ok wäre, wenn er in Bremerhaven in den Zug steigt. Natürlich ist es das. Ich finde grundsätzlich nix ehrenrühriges an einem Abbruch, und gesundheitliche Gründe hat er ja auch vorzubringen. Und dennoch dauert es eine Weile, sowie das Durchdenken diverser Optionen, bis wir uns dazu entschließen, in Bremerhaven abzubrechen.


Mit dem Abbruch mache ich auch ziemlich umgehend meinen Frieden und genieße sowohl Zugfahrt, als eigentlich auch den gesamten restlichen Tag in einem angenehmen Dämmerzustand – später auch mit ausgedehnten Schlafphasen. Bis ich mich final entscheiden kann, die Festive dieses Jahr Festive sein zu lassen, vergehen aber noch ein paar Stunden. Rechtzeitig finde ich auf Facebook das passende Zitat: „Ursprüngliche Bedeutung von „legnern“: sich rechtzeitig erinnern, dass Rad fahren Spaß machen soll“. Ob ich noch eine InOneGo fahre, lasse ich an dieser Stelle mal ausdrücklich offen. Die Festive nächstes Jahr in mundgerechte Häppchen aufzuteilen, und jeweils bei Tageslicht zu absolvieren, erscheint mir gerade nicht unsympathisch. Aber was wird mich schon morgen mein Geschwätz von heute scheren. 😉

Danke für’s Lesen.

Festive 500 2018: Wasted in Verden

Als Jugendlicher war ich ein paar Mal in Verden. Ich weiß nicht mehr, ob ich mich jemals gefreut habe, dort zu sein – aber auf keinen Fall so sehr, wie in dieser Nacht. In Verden war ich eigentlich gebrochen – komplett im Arsch, sozusagen. Dieses Bild habe ich aber schon 2016 zur Zustandsbeschreibung bemüht. „Wasted“ hab ich nachgesehen: das Wort beschreibt unter anderem einen Zustand physischer oder psychischer Erschöpfung. Paßt beides. Schön, kann ich mich wieder bei Feine Sahne bedienen.

Aber der Reihe nach.

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Tour de Friends Stage 4: Vittorio Veneto – Jesolo

Meine retrograde Amnesie umfasst lediglich die letzten paar Minuten vor dem Unfall. Das ist gut. Mir könnten Monate fehlen. Noch besser – natürlich nur im Hinblick auf den Plan, doch noch von der letzten Etappe der TdF zu berichten – ist, dass ich mir Notizen von diesem Tag gemacht habe.  Das freut mich deshalb so, weil es mir die Chance eröffnet, die letzte Tour in kurz/kurz noch einmal zu durchleben. In einer Situation, in der ich (wegen eines Schädel-Hirn-Traumas bislang vergeblich) meinen Arzt darum anflehe, wenigstens ein halbes Stündchen mit niedriger HF auf die Rolle zu dürfen. In der es draußen unaufhaltsam Winter wird – und ich keine Ahnung habe, wann ich auf dem Rad wieder etwas machen darf, das die Bezeichnung „Training“ auch nur ansatzweise verdient.

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Tour de Friends Stage 3 Brixen – Vittorio Veneto

Mir fällt zu spät ein, „Aux Armes!“ anzustimmen. Vielleicht singt man das auch gar nicht mehr. Ich war ja schon viel zu lange nicht im Stadion. Trotzdem geil: Ein Camouflage tragendes Grupetto rollt durch Brixen und singt „We love St. Pauli“, früh morgens, bei Regen.

Heute steht also die Königsetappe an. 195 Kilometer. 1800HM. Aber wenigstens regnet es. Wir können ja nicht auf dem Muttiradweg über die Alpen fahren und dann noch die ganze Zeit schönes Wetter haben. Dramaturgisch insofern auch wichtig, dass es am Tag der Königsetappe schifft. Mit Aussicht auf Besserung vom Ende hin.

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Tour de Friends Stage 2 – Innsbruck – Brixen

Heute nur 90 Kilometer. Und: nach 40 Kilometern geht es nur noch bergab. Wir durften ja heute ausschlafen – die Starts erfolgten erst ab 10 Uhr – wobei wir aufgrund der guten Zeiten des Vortages als eins der ersten Teams auf die Strecke geschickt wurden. Was mir trotz eventuell nachlassender persönlicher Performanz noch etwas Tagesfreizeit ermöglichen würde. Voraussichtlich würde es erneut trocken bleiben. Gute Voraussetzungen, gute Aussichten. Auch später auf der Strecke:


Trotzdem habe ich gehörigen Respekt vor morgen. Auf keinen Fall will – und darf – ich mich heute kaputt fahren. Notfalls lasse ich die Gruppe halt ziehen, beschließe ich. Mal wieder.

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Tour de Friends Stage 1 – München – Innsbruck

„Are you Bonkers?“

145km mit 900HM sind ja auch nur anderthalb Heidschnucken. Die Etappe am zweiten Tag ist nur 90 Kilometer lang. OK, dann wird es ein bisschen hart, aber danach dann, wird ja nur noch flach in Richtung Meer ausgerollt. Und überhaupt: 600km in vier Tagen, das ist ja nur ein halber Mallorca-Urlaub. Und alle sagen, das ganze wäre sowieso nur eine Mutti-Tour.

All das gesagte stimmt zweifelsohne. Aber immerhin liegen zwischen dem Start- und Endpunkt der TdF die Alpen. Für einen Ersttäter, einen angehenden Erstquerer meiner Meinung nach durchaus ein Grund für ein bisschen Nervosität. Oder vielleicht besser eine latente Anspannung. Dazu kam, dass die TdF so plötzlich kam wie sonst Weihnachten. Wobei der gefühlte Trainingsrückstand einer objektiven Prüfung nicht wirklich standhielt. Wie das halt so ist, wenn man etwas zum ersten Mal macht. Einzig etwas schwerer war ich vor dem Start als ursprünglich geplant – aber irgendwas ist ja immer.

Ach so, und dann das Wetter! Das war wirklich gruselig vorhergesagt. Also nix mit „pack light“. Und die Bonkers! Die hatte ich vorher ja noch gar nicht auf dem Plan.

Kurzfristig, sehr kurzfristig, ergab es sich nämlich, dass die unter Pseudonym startende Zeckentruppe die Fragmente zweier zuvor gesprengter Teams „schluckte“ – darunter Philipp und mich. So fand ich mich durchaus passend gewandet in meinem Camouflage-Jersey am Start an den Bavaria-Filmstudios wieder. In kurzer Hose und mit Armlingen. Denn: entgegen vorherigen Unkenrufen sollte es durchaus warm werden, gut zweistellig, und mit etwas Glück sogar bis kurz vor Innsbruck trocken. So wanderte auch die Regenjacke ins Aufgabegepäck.

Und nun, wie Ingo im Verlauf der vier Tage noch sicher an die hundert Mal sagen sollte: „Kick it!“.  Ab auf meine anderthalb Heidschnucken.

Zunächst flach pedalierte man auf die Alpen zu. Zunächst auf etwas widrigem Untergrund. Sprach man beim Briefing noch von ca. 40km Gravel zu Beginn, kündigte man am Start noch deren 60 an. Es sei schon „scheiße …. aber geil“ hieß es. Das fand ich vor dem Start noch amüsant – und eigentlich immer noch – aber mit der Tour in den Beinen, und dem noch nicht vollständig abgebautem Adrenalin (oder welche Hormone beim Ausdauersport so produziert werden, ich bin ja schließlich kein Arzt) sehe ich durchaus, daß in dem Fall nur ein scheinbarer Widerspruch vorliegt. Oder anders: ich teile den Enthusiasmus inzwischen, der solche ambivalenten Aussagen möglich macht.

Ach so, die Bonkers. Vermutlich der Faktor, über den  ich mir im Vorfeld am meisten Sorgen hätte machen können. Jetzt war aber keine Zeit dafür. Man hatte Bock auf Ballern. Manchmal hätte ich mir etwas mehr Muße gewünscht, Landschaft, Fotos, und so. Aber ein paar habe ich machen können, und andere wiederum konnte ich in meinem Kopf abspeichern. Der Stil der Bauernhäuser, braune statt schwarz-bunter Milchkühe,… bevor die Berge sich am Horizont auftaten erste äußere Anzeichen, daß ich mich in einem anderen Bundesland bewege als üblich.

Bis zum Tegernsee habe ich mich dann auch einigermaßen eingerollt. Wir fahren zügig, ich bin angestrengt, aber ich habe einen Blick für das Drumrum – wie den vorgenannten Tegernsee zum Beispiel, habe Gelegenheit mich über das tatsächlich passable Wetter zu freuen und verschwende erstmal nicht soviele Gedanken an das Morgen. Oder Übermorgen. Vor allem Übermorgen.

In die erste, mit Fähnchen markierte Strava-Bergwertung gehe ich dann auch mit entsprechendem Elan hinein. Drei Fahrer setzen sich ab und ich überlege kurz, mitzugehen – setze mich dann aber in einem Fall von Selbstüberschätzung an die Spitze der Verfolgergruppe. Mit Begeisterung allein gewinnt man aber keine Bergwertung. Gegenwind, da war bestimmt auch Gegenwind. Früher, als ich gehofft habe, muss ich vorne raus … und kann der Gruppe dann nur noch hinterher gucken. Bald sind sie sogar außer Sichtweite. Trotzdem gelingt es mir, mich über das Schild „Achenpass“ wie Bolle zu freuen. Muttiradweg hin oder her: immerhin mein erster Alpenpass. Das zählt doch schon als Alpenpass, oder? Ich muss das googeln.

Eine Weile fahre ich noch allein … bis zwei Camouflagehemden von hinten aufschließen. Falsch abgebogen. An dieser Stelle zähle ich schon die Kilometer zur nächsten Labestelle (wir sind inzwischen in Österreich!) herunter. Wie sich nun herausstellt, bin ich da nicht der einzige. Das ist ein bißchen beruhigend. Im Gegenzug kann ich die Jungs beruhigen, denn ich weiß genau, wann die Verpflegung kommt; und weit ist es jetzt nicht mehr.

Dort vereinigt sich die Gruppe dann wieder und kann sogar ein oder zwei Fotos vom Achensee machen. Spoiler: es bleibt bis Innsbruck trocken.

Bei der anschließenden Abfahrt merke ich, was sich hinter dem Spruch „It never gets easier, you just go faster“ wirklich verbirgt. Rollen lassen ist nicht. Gefangene werden nicht gemacht. Auch bergab wird gedrückt. Trotz meines Gewichtsvorteils entstehen bisweilen Lücken. Außer Sichtweite gerät die Gruppe aber nun nicht mehr.

Was das abschließende flache Stück am Inn angeht: nun ja. Morgen kann ich ja ausschlafen. Und trotzdem: nach hinten raus wird es dann doch ein bißchen zäh für meinen Geschmack.

Als ich später im Ziel (das Becks für mich bitte mit!) meine, für meinen Geschmack zu diesem frühen Zeitpunkt ein bißchen zu ausgeprägte, Erschöpfung beklagte, wurde – völlig zurecht – bemerkt, wir seien ja auch ganz schön schnell. Ich beschließe, bei Gelegenheit darüber nachzudenken, ob die Gruppe vielleicht doch ein bißchen stark für mich ist. (was ich sage: „morgen nehme ich deutlich raus, macht was ihr wollt). Zugleich gibt es erste Durchhalteparolen zu hören: so suchte man, mich mit der Aussicht auf die 100-Kilometer-Abfahrt am dritten Tag bei Stange zu halten.

Soviel zum Sport. Auf Strava sieht das ganze so aus:

Für Philipps Vorschlag, jetzt erstmal ein Nickerchen zu machen, könnte ich ihn knuddeln. Die Wartezeit zum Check-In in der Jugendherberge überbrücken wir, indem wir uns im nahen Supermarkt mit einer Brotzeit eindecken.

Nachdem wir tatsächlich ein bißchen die Augen zugemacht haben, entschließen wir uns zu zwei vier Kilometer langen Fußmärschen (über die Hinterhöfe Innsbrucks)  zur Abendverpflegung und zurück. Wir Self-Tracker müssen ja auch unser Schrittziel im Auge behalten. Die Bedienung erinnert ein bißchen an Andreas Gabalier, ist aber sehr nett,  nur vielleicht ein bißchen schwer zu verstehen. Das Essen ist gut und erstaunlich sättigend – und das Bier schmeckt auch.

Alles in allem ein gelungener Abschluss eines schönen Tages. Wir überlegen zwar noch kurz, ob wir uns wegen des frischen Schimmels auf den Bergspitzen Sorgen machen müssen, aber die vertage ich ebenso wie die Frage, ob es vernünftig ist, morgen wieder zu versuchen, an der Gruppe dran zu bleiben.

To be continued.

Festive 500 2016: Küstenfest

Wenige Tage vor dem geplanten „Küstenfest“ – wie der Herr Bornmüller das anstehende Himmelfahrtskommando zu bezeichnen beliebte – redete  ich mir noch ein, ich bräuchte nur die Nacht zu überstehen, der Rest ginge dann schon irgendwie. Wie ein Arzt, der den Angehörigen eines frisch operierten mitteilt, man müsse erstmal die Nacht abwarten. Wie passend dieser Vergleich war, sollte mir allerdings erst in der Nacht aufgehen.

Und „Himmelfahrtskommando“? Habe ich nicht bereits einen früheren  Bericht exakt so betitelt? Na gut – um ehrlich zu sein, habe ich durchaus schon im Vorfeld eine realistische Chance gesehen, eine weitere Festive „in one go“ zu überstehen. Aber mit nicht mal der Hälfte der Kilometer meiner Mitstreiter und fehlenden längeren Touren war schon klar, wer das schwächste Glied in der Kette sein würde. Aber wenigstens war ich ausgeschlafen, als ich am zweiten Weihnachtsfeiertag an der Kirche ankam.

Der Plan war, ein Brevet abzufahren, das Gerrit im Sommer gefahren war. Plus Zu- und Abfahrt und einem kleinen Schleifchen ziemlich exakt 500km. Im Gegensatz zu 2014 also durchaus solide geplant. Nur … vielleicht ein bißchen wenig an die aktuelle Wetterlage angepasst. So war mir zwar durchaus klar, dass es windig werden würde. Sehr windig. Aber: „Sturmböen“ und „orkanartig“ sind eben nicht nur Worte. Und das habe ich – ehrlich gesagt – in der Nacht des zweiten Weihnachtstages 2016 auf die harte Tour gelernt.

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Vizemeister der Herzen

M. wollte eine Medaille an seiner Tür.  Nun hing – um mit dem „running gag“, der sich durch die gesamte Veranstaltung zog, auch hier noch einmal zu strapazieren – anders als bei U. und A. zumindest meine nähere berufliche Zukunft nicht unmittelbar von meinem Laufergebnis ab. Dennoch beschloss ich, mich solidarisch zu zeigen und sah mich hier in kollegialer Verantwortung.  Man sieht sich ja auch immer zweimal. Wes‘ Brot ich ess‘, des‘ Lied ich sing.

Jetzt ist aber auch gut damit. In Dresden war ich noch kurzfristig einberufener Ersatzmann und so konnte ich noch positiv überraschen. Jetzt war die Latte gelegt, und ich wollte auch abliefern. Die Medaille war ja auch wirklich beeindruckend, und eine zweite würde sich auch an meiner Pinnwand gut machen.

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Disabled

Wie doch die Zeit vergeht. „A new beginning“ habe ich den letzten Beitrag betitelt. Und dieser liegt nun schon ein halbes Jahr zurück. Dabei war die Doppeldeutigkeit durchaus beabsichtigt – und sollte sich nicht nur auf die beschriebene Wiederaufnahme des Trainings beziehen .. sondern auch eine zu erwartende erhöhte Beitragsfrequenz andeuten. Da war dann aber das Leben vor – ja, und auch ein bißchen Sport.

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