Was schief gehen kann, geht schief. K., aka Frau H., kann ganze Arien davon schmettern. Tragikomische Romane verfassen, whatever. Aber: sie ist gleichwohl mit einem beneidenswerten Organisationstalent ausgestattet, was schlussendlich dazu führte, dass sie am Abend dieses zweiten Weihnachtsfeiertages samt Leihrad bei mir aufschlug, um gemeinsam mit mir die letzten Umbaumassnahmen daran vorzunehmen. Das ganze gestaltete sich dann derart kurzweilig, dass kurz aufkeimende Zweifel (will sagen: Selbstverfluchungen) in besagtem Keim auch wieder erstickt wurden. Auslöser dieses Zweifels war jenes rührende Video das uns übermittelt übermittelt worden war. Die Kernaussage war in etwa: „wir würden ja gerne mitkommen, aber wir haben leider die Lampen an“.
Egal. So übermächtig war die Fantasie eines, sagen wir mal, heimeligeren Gestaltung jenes zweiten Weihnachtsfeiertagabends nun auch wieder nicht. Auf zur Kirche!
Was schief gehen kann, geht schief. Auch F. kann eine Strophe zu K.’s Liedchen beitragen. Noch vor der formellen Begrüßung: „Houston, wir haben ein Problem.“ Cut a quite not so long story short: der Herr R. hat mal eben schnell das Rad gewechselt. Was ja dann auch nicht hiess, mal eben das eine in den Keller und das andere rausgeholt. Es gab ja doch noch die ein oder andere Umbaumaßnahme.
Zeit also für ein Foto. Die Arbeiten wurden aber in Rekordzeit erledigt. Und: zumindest mir gelingt es ziemlich gut, die Frage, ob das Universum nicht will, das wir diese Tour fahren, auszublenden.
Auch nicht, als F. schon vor der Alten Elbbrücke umkehren musste, weil er seine Brille verlor. Auch nicht, als G. im Alten Elbtunnel seinen Koffer abwarf. War ja irgendwann alles wieder gut – die Brille ward wieder gefunden, der Koffer mithilfe eines Spanngurts und etwas Spucke hinreichend sicher befestigt – also erstmal auf, Richtung Fehmarn.
Die Reeperbahn querend – es ist wohl so knapp 23 Uhr und man geht aus – bin ich gedanklich wieder kurz bei den beiden Kapeiken aus dem Pott und ihrer Feuerzangenbowle. Frage mich auch, wieviel kälter es wohl außerhalb der Stadtmauern sein mag. Fühle mich aber insgesamt gut aufgestellt, klamottentechnisch. Hamburg fast hinter uns gelassen habend, rufen uns noch angeheiterte Kneipengänger (auf dem Heimweg, waren schon fast auf dem Land) ein freundliches „Organspender!“ hinterher. Doch. Hat mein Humorzentrum nicht verfehlt.
Dann. Into darkness. Wenn man mich später fragt, werde ich die Tour als eine einzige, lange Nacht in Erinnerung haben, in der es kurz mal hell war. In Kiel oder so. Tatsächlich war in der ersten Nacht Tageslicht mir ein völlig fremdes Konzept, das nichts mit mir oder dem, was ich gerade tat zu tun hatte. Ich habe wirklich nicht eine Sekunde dran gedacht, dass es irgendwann wieder hell werden könnte. Dies war eine Nachtfahrt. Punktum.
Und wenn ich schreibe „into darkness“ – dann meine ich das auch so. Von der Grundannahme ausgehend, dass Schleswig-Holstein immer noch etwas dichter besiedelt ist als Brandenburg, musste ich feststellen, dass der Schleswig-Holsteiner als solches eher nicht nachtaktiv ist. Gefühlt über Stunden waren unsere Lampen die einzigen Lichtquellen. Von oben kam wegen des bedeckten Himmels auch nichts. Was ich jetzt nicht sooo toll fand, andererseits dachte ich aber auch, wenn es jetzt schon so rattenkalt war, wie wäre das wohl in einer sternklaren Nacht?
So gibt es dann auch nicht viel zu erzählen. Hier und da blitzte der Charme der Strecke aber doch auf – oder besser, liess es sich erahnen, dass sie eventuell ganz schön sein könnte. (note to self: irgendwann mal bei Licht nach Fehmarn fahren). Und, na ja: hauptsächlich äußerte sich das, wenn in der Kartenansicht des Edge mal ein See am Wegesrand dargestellt wurde.
Das Befinden war dennoch den Umständen entsprechend gut. Es galt ja weiter das Motto: Festive 500 in one go gerne – aber nicht um jeden Preis. G. sagt: 300 sollen’s schon werden, dann sehen wir weiter. Da kann ich mich eine Weile dran hoch ziehen.
K. leider irgendwann nicht mehr. In Eutin sind ihre Rückenschmerzen aufgrund des nicht angepassten Fahrrades nicht mehr ignorierbar und sie muss aufgeben. Mit einem mehr als mulmigen Gefühl lassen wir sie dort am Elisabeth-Krankenhaus zurück.
Das begab sich bei etwa Kilometer 120 – und was folgte, war mein eigener Durchhänger. Vermutlich kam mein Pferdemagen auf das viele kalte Trinken nicht klar.. wir hatten uns ein Päuschen in Oldenburg/H. in Aussicht gestellt. Die folgenden 40km ertappe ich mich dabei, immer und immer wieder die Ausstiegsoptionen zu durchdenken. Mir ist so schlecht, dass ich zeitweise sicher war, dass ich mich übergeben würde, würde ich anhalten.
In Oldenburg wärmen wir uns dann das erste Mal im „EC-Hotel“ auf.
Zwischen ATM und Kontoauszugsdrucker gibt es dann erstmal ein Tütchen. Anders ist diese Tortur auch schwerlich zu ertragen. Und natürlich mache ich erstmal weiter.. noch in Oldenburg, es ist 5 Uhr früh, gibt es Kaffee. Und ein nicht gefrorenes Etwas (ich glaub, einen Croissant) zu essen. Als es dann weitergeht, ist mit meinem Magen auch wieder alles okay. Ich trinke weniger und fühle mich besser.
Noch im Dunkeln geht es dann einmal kurz über den Fehmarnsund. Nicht mal für ein Foto, nur für das Gefühl, auf Fehmarn gewesen zu sein. Wasser lassen, umdrehen, weiter im Text.
Es geht also erstmal wieder zurück, als es langsam tatsächlich hell wird. Was mich tatsächlich erstaunt, zugleich aber auch die Stimmung dann doch „etwas“ hebt. 220 Kilometer stehen auf der Uhr, als wir uns in Lütjenburg das ausgelobte „richtige“ Frühstück gönnen. Hier gestehe ich auch P., die den Liveticker abonniert hatte, dass ich vor Oldenburg hart am Rand des Abbruchs stand. Ihre Antwort sollte mir noch über das ein oder andere Motivationstief hinweg helfen. Ja, P.: ich habe in den Abgrund geblickt.
Dann trau ich mich auch, meine Trinkflaschen wieder aufzufüllen. Zuletzt hatte keine mehr Flüssigkeiten enthalten. Aufgrund des veränderten Aggregatzustandes, wohlgemerkt, nicht das ich plötzlich wieder angefangen hätte, was zu trinken. Mit zimmerwarmer Schorle aufgefüllt wurden aber auch die vorhandenen Reste wieder flüssig. Und in die Trikottasche – als Sicherung gegen durchfrieren, kam noch eine Dose Cola für schlechte Zeiten.
Der kurze Tag gestaltet sich dann sehr schön und stellt, auf die Gesamtfahrzeit und -strecke, das Motivationshoch da. Die Temperaturen bewegen sich um den Gefrierpunkt, die Getränke bleiben trinkbar und dabei insbesondere flüssig. Der Himmel ist blau, der Rest meines Lebens lie… ach nee. Ein erstaunlich schöner Tag, meine Wetterapp hatte mir ein paar mehr Wolken prophezeit, aber diesmal bin ich dem Universum nicht böse, dass sie sie Lügen straft.
Kleine Euphoriebremse dann aber doch bei Fresendorf. Ich lerne den Begriff „schwarzes Eis“ kennen, und wie man mithilfe eines Multitools ein verbogenes Schaltauge wieder gerade rückt. Frank ist vorn und hat keine Chance. Steht aber sofort wieder auf und spricht als erstes: guck doch mal ’n bißchen freundlicher. Jetzt braucht er wohl ein neues Schaltauge, bleibt aber (nach seinen Maßstäben) unverletzt und kann auch die Fahrt fortsetzen.
In Kiel gibt es dann einen .. etwas längeren .. Zwischenstopp. Kilometer 260. Die ausgelobten 300 scheinen safe. Denkt schon jemand dran, dass wir das wirklich durchziehen wollen? Spricht es gar schon jemand aus? Ich hab’s vergessen. Die geschenkte Zeit nutze ich für eine Portion Fritten. Am Bahnhof.
Hier lockte die Regionalbahn schon ein bisschen. Und je länger G. sich in dem gekachelten Raum aufhielt, umso schlimmer. Nachdem ein Zug nach Hamburg abgefahren war, fragten F. und ich uns schon ein bisschen, wie sehr G. wohl an seinem Rad hängen mochte.
Gegen 13:30 geht es wieder los. G. fordert uns auf, das Tageslicht zu geniessen. Dies sei heuer schliesslich ein eher kurzes Vergnügen. Gruppenkonsens ist mithin: weiter fahren bis in die Dunkelheit und dann Pause.
Pause? OK, es war dann wohl so weit. Wir fingen also offenbar kurz hinter Kiel an, ernsthaft in Erwägung zu ziehen, das Ding auch wirklich nach Hause zu bringen.
Den Nachmittag kann ich dann auch weitgehend geniessen. Die Freude über den Blick auf die Ostsee wurde etwas dadurch getrübt, dass ich als ich sie erblickte noch dachte, sie sei die Schlei. Aber hübsch ist es trotzdem, dieses vermeintliche Kappeln. Also Eckernförde. Ich hätte mir gelegentlich Zeit für das ein oder andere Foto gewünscht. Aber die vielen Handschuhe, das tief in den Trikottaschen vergrabene Mobiltelefon, das wenige Tageslicht, der Wagen der rollte… wie im Leben halt.
Kurz vor dem richtigen Kappeln bemerke ich G.’s zwischenzeitliche Schwäche, und versuche zu eruieren, ob ein weiterer Kaffee – zuungunsten des Durchfahrens bis zum Sonnenunergang – nicht vielleicht doch angebracht wäre … aber ein Stopp an seiner alten Stammtanke reicht aus. Noch mal die Buddeln füllen, ein paar alternative Süßigkeiten gekauft, und offenbar war wieder etwas Luft da. Zuvor hatte ich dann auch meine eiserne Reserve (die Cola aus dem Penny in Lütjenburg) mit G. geteilt.
Hernach freuen wir uns alle auf eine richtige Einkehr. Mit ein bisschen Sorge beobachte ich das Tauwasser, welches hier und da auf die Straßen läuft. Wenn es wieder so kalt wird, wie letzte Nacht, könnte das zu einem Problem werden. Denk ich so.
Wie dem auch sei – das Tageslicht reicht ziemlich genau bis Flensburg. 360 Kilometer stehen auf den Uhren und endlich genehmigen wir uns ein längeres Päuschen. Kaffee, Apfelschorle.. und ein Essen, das im wesentlichen aus einer Kartoffel und etwas Salat besteht. Im Normalfall was für den hohlen Zahn, aber dieses Mal muss ich richtig mit dem Essen kämpfen.
Spätestens jetzt steht auch fest, dass wir das Ding auch durchziehen wollen. 40 harte Kilometer und dann die berühmten 100, die ja angeblich immer gehen. Na ja, erstens kommt es anders…
Für mich persönlich waren die ersten 40 – womöglich in Aussicht des Umstandes, dass dann „nur noch“ 100 verbleiben würden der leichtere dieser beiden Abschnitte.
Los ging es – fast duchgehend bis Husum, also bummelige 30km, erstmal nur an der Bundesstrasse. An der Stelle müssen wir uns wohl die Kritik gefallen lassen, die Strecke schlecht geplant zu haben. Die Radwege waren unbenutzbar – und wann immer wir es versucht haben, ging mein – an der Stelle sei dieses Bild erlaubt – Allerwertester auf Grundeis. Wir waren immerhin 18 Stunden und länger unterwegs und ich fragte mich, wie viel Adrenalin mein Körper wohl würde ausschütten können, um die erforderliche Konzentration aufrecht zu erhalten. An der Strasse … nun, war mir die latente Lebensgefahr zumindest nicht so bewusst. Die Gefahr, mich auf dem vereisten Radweg zu legen, schätzte ich jedenfalls deutlich höher ein, als auf der Strasse mitgenommen zu werden.
Aber hier nochmal ein Bild aus besseren Zeiten:
Nur, um mal auch bildlich dokumentiert zu haben, dass wirklich Winter war.
Kurz hinter Husum (400km-Marke geknackt) setzen meine Erinnerungen erstmal aus, und etwa 35 Kilometer später wieder ein. Was jetzt kommt, bin ich geneigt mein „favorite worst nightmare“ zu nennen. Der Track war jetzt zwar wieder erprobt – allerdings gilt dies für den Sommer. Das Stück, wo man den Streuwagen wohl nur vom Hörensagen kennt, war zwar nur vielleicht 5km lang, aber forderte uns fahrerisch alles ab. Hier legt sich dann auch Gerrit wenig elegant vor meinen Augen … aber ausser einem Pixelfehler im Handy ist wohl nichts weiter passiert. Wenn man im Vorfeld von einem „Abenteuer“ sprach, habe ich das zugegebenerweise immer etwas belächelt. Wir würden ja doch in Regionalbahnreichweite, quasi vor der Haustüre, bleiben. Pustekuchen. Ich erwäge ernsthaft einen Abbruch.. wir fuhren zu dem Zeitpunkt vielleicht einen 15er-Schnitt. Wie lange sollten wir dann noch fahren, weitere 10 Stunden? Nein, die nötige Konzentration würde ich nicht aufbringen können. So ärgerlich das sein mag, hier wäre ein Abbruch vernünftig. Als wir kurz stoppen, beobachten wir die letzten Fußgänger, die sich in diesem abgelegenen Teil Schleswig-Holsteins noch vor die Tür wagen dabei, wie sie sich unsanft auf die Strasse setzen … und wir fahren Rennrad? Müssten wir doch selber merken.
Na ja. Meine diesbezügliche Eingabe wird weggelacht. Die Strasse wird bald wieder besser, und ich hake meine neuerliche Schwäche als weiteren Blick in den Abgrund ab.
Relativ spontan wird dann Heide zum Ziel erklärt. 465 auf der Uhr – 30 bis Heide. Passt. 30 Kilometer wtf.. aber wieder falsch gedacht. Die nun folgenden 30 Kilometer sollten, abgesehen davon, dass es kontinuierlich kälter wurde (bis 5 Grad runter), die längsten und wohl härtesten meines bisherigen Radlebens werden. Dazu das Phänomen, dass an diesem Punkt 30km vor Heide wohl der Tiefste Punkt Schleswig-Holsteins liegen muss. Und Heide mutmaßlich der höchste ist. Anders ist nicht zu erklären, dass es geühlt kontinuierlich bergauf ging.
Bei solchen Gelegenheiten hangle ich mich gerne mal von einem Schluck aus der Pulle zum nächsten. Alle 10, hier wohl besser: alle fünf Kilometer. Der Trick hat seine Grenzen. Ich denk, ich guck nach einem Kilometer wieder auf den Tacho … und stelle fest, es sind nicht mal 100m vergangen. Eine Weile zähle ich sogar die Begrenzungspfähle, dann wird mir die Ähnlichkeit zum Konzept des Schäfchenzählens erschreckend bewusst.. genauso wie die Tatsache, dass Sekundenschlaf auf dem Fahrrad möglich ist, und lass es lieber wieder. Aus dieser Phase stammt auch mein Ausspruch, dass ich auf so unglaublich vielen Ebenen keine Lust mehr zum Radfahren hätte. Schulter- und Nackenpartie, Kopf, Knie, zeitweise die Nieren und mein kranker Fuss .. es ist fast einfacher aufzuzählen, was mir nicht weh tat. Und: der Entschluss, dieses Jahr nicht auch nur einen Meter Rad zu fahren.
Jeder ist längst in seiner eigenen Bubble. Vor mir F. Ich hasse ihn. Diesen Willen, dieses stoische, scheinbar mühelose (wenngleich etwas wütend wirkende) pedalieren. Das Wissen, dass er ohne unsere Kürzer-Rufe noch mehr Druck auf die Pedalen bringen würde. Heut hat F. den „Steelhammer“ gegeben. Ganz großes Damentennis, mein Lieber!
Aber auch diese Qual hatte ein Ende. Irgendwann, irgendwie.. fragt mich nicht. Bahnhof gesucht und gefunden, Einkehr bei Mecces. Dann, in der Reihenfolge, die Erkenntnisse, dass der nächste Zug um 0550 fahren würde (es war wohl so kurz nach Mitternacht) und dass das DB-Wartehäuschen nicht zur Verfügung stehen würde. Es folgte also eine erneute Einkehr in einem EC-Hotel:
Zwei Dinge, die ich gelernt habe: die Hypovereinsbank ist laut Selbsteinschätzung die weltbeste Multikanalbank. Und: den Begriff „doa“ sollte man nicht leichtfertig verwenden.
Wir waren in so vielerlei Hinsicht am Ende, dass wir uns erst Stunden später, als die Jungs in Harburg aus der S-Bahn gestiegen sind, beim Abschied gegenseitig beglückwünscht und für die Tour bedankt haben.
Was ich an dieser Stelle noch mal auf’s herzlichste tun möchte. Plan B (Feuerzangenbowle) hätte genauso zu einem verkaterten ich geführt. Aber dahinter wäre kein Stolz geblieben, der ja bekanntlich bleibt, wenn der Schmerz geht. Danke, ihr Teufelskerle!
Schreibst Du mal wieder was? Ich finde die Texte toll. Da bin ich beim Lesen dabei. „Vor mir F. Ich hasse ihn.“ Das kann nicht besser gesagt werden 🙂 Oder hat es Dir gereicht nach dieser Monster-Tour? Schönen Gruß!
….ganz toller Bericht von einer verrückten Tour!! Beim lesen gefroren wie ein …! Nochmals Respekt für dieses Ding!!